Subjektive Rezension der September-Ausgabe des Kunstmagazin art aus der Sicht einer Künstlerin aus der freien Szene Berlins.

Das Kunstmagazin art rund um die Art Week in Berlin

Die art ist ein hochwertig gemachtes, frisch wirkendes und – in dieser Ausgabe – weit interessanteres Kunstmagazin, als ich es noch vor ein paar Jahren in Erinnerung hatte. Das Heft ist gut geschrieben, attraktiv bebildert und bietet natürlich einen ausführlichen Überblick über die “offizielle” Berliner Kunstszene. Insofern ist die art ein Magazin für diejenigen, die bei Ausstellungseröffnungen und in Museen “mitreden” können wollen.

Die Themen sind zeitgemäß: über queere Muslima und Muslime, eine 2 Tonnen schwere Wolke aus Eisen die “vom Himmel fällt”, das Selbstverständnis (einiger) zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, …

Vorgestellt werden auch Berliner Künstlerinnen wie Ursula Sax, deren gelbe Spirale zwar schon fast jede/r Berliner_in gesehen hat, deren Namen aber kaum jemand kennt – oder der fast vergessene Bildhauer Georg Kolbe, dessen Tänzerin zur Zeit der Weimarer Republik von vielen verehrt wurde.

Äusserst erfrischend fand ich den – aus Sicht eines expliziten Nicht-Experten verfassten – Artikel zur Berlin Art Week, in der der ehemalige Chefredakteur der “GEO” Kunst, Künstler_innen, Besucher_innen und Galerien einer kritisch-erheiternden Betrachtung unterzieht.

Der Künstler als Manager vs. Berliner Verhältnisse

Neben Atelierbesuchen bei Berliner Künstler_innen, den visionären Ideen des Architekturkollektivs Raumlabor und der Vorstellung neuer bzw. kommender Künstler geht es in der aktuellen Ausgabe der art auch um das neue (Selbst)Bild der Künstler_innen – von Schaffenden, die nicht mehr dem Exzess frönen, sondern der geistigen und körperlichen Fitness – und einem klar unternehmerischen Ansatz:

“Der Künstler als Manager ist natürlich das Ergebnis der ungeheuerlichen Konzentration an Reichtum in immer weniger Händen, der in Geld und Gold keinen Zins und Sinn mehr findet und deshalb in die harte Währung der Kunst schwappt.”

Ob die Kunst eine solch harte Währung ist, sei dahin gestellt. Doch wenden wir diesen Satz konkret auf Berlin an, das seit dem Mauerfall eine solch rasante Entwicklung durchmacht: die Stadt, in der es sich lange Zeit billig leben liess und die schon daher für Kunstschaffende und Aussteiger_innen so ungeheuer anziehend war. Diese Stadt wirkt heute aufgrund ihrer kreativen Potenziale weltweit ungemein attraktiv, was auch Investoren und andere Profiteure auf den Plan ruft.

Die sich dadurch ändernden Bedingungen zeigen sich auch in den Lebensentwürfen junger Kunstschaffender:

“In seinem Freundeskreis ist es normal, auf dem neuesten Stand von Wirtschaft und Technologie zu sein und in Bitcoins zu investieren. Denny hat sich frei gemacht von der Anstrengung, so tun zu müssen, als sei Kunst etwas von der Wirtschaft Unabhängiges.”

Kunst bzw. Künstler_innen waren jedoch nie vollkommen unabhängig von der Wirtschaft: egal ob es sich um reiche Erben, Bohème oder mittellose Künstler_innen handelt(e) – wir alle leben in, von oder mit der Gesellschaft. Es ist der gesellschaftliche Fokus, der sich zunehmend vom sozialen Miteinander zur Profitmaximierung verschiebt.

Zielgruppen vs. Underground im Kunstmagazin

Diesem Zwang zur Profitmaximierung unterliegt auch die Presse. Und ich vermute, auch Kunstmagazine wie die art müssen sich an den Interessen ihrer Zielgruppen orientieren, um die Auflage zu steigern oder zumindest den Betrieb profitabel zu halten.

Die im Heft vorgestellten Künstler_innen sind also nicht unbedingt repräsentativ für die authentische Kunstszene Berlins. Der Ruf Berlins als Party- und Kulturhaupstadt speist sich ja vorwiegend – zumindest in meiner Wahrnehmung als Berlinerin – aus der facettenreichen und widerspenstigen Untergrundszene. Die etablierteren Künstler_innen und die Galerien, die sie ausstellen, bilden lediglich die Spitze eines wesentlich vielfältigeren Eisbergs.

Die art richtet sich allerdings an eine Leserschaft (“Kunstexperten, Sammler, Künstler, Architekten, Designer und Art Direktoren genauso wie privat motivierte Kunstliebhaber aus den vornehmlich gesellschaftlichen Leitmilieus” Mediadaten: Kunstmarkt 2016, S. 4), deren vermutetes Interesse wohl eher diesem kleinen Ausschnitt, als der inspirierenden, chaotischen und – trotz aller Widrigkeiten – äußerst lebendigen Subkultur Berlins gilt.

Der Berliner Underground – der verschmähte Kompost, auf dem sich dennoch Nutznießer aller Art so gerne ansiedeln – hält sich aber – noch: zumindest so lange die Atelier- und Wohnungsmieten bezahlbar bleiben. Hier finden sich frische Ideen, die über l’art pour l’art hinaus gehen, und Gesellschaftsentwürfe, die eine lebensfreudige Zukunft denkbar machen. Oder – wie es der Autor im Magazin ausdrückt: Künstler_innen,

“die ihre eigenen Szenen mit ihren eigenen Regeln gründen, die auf ihren inneren Kompass hören und die in Kauf nehmen, dass man sie deshalb nicht überall sieht. Mit ihnen lohnt es sich, Zeit zu verbringen.”

Diese Künstler_innen kommen im Kunstmagazin art zwar nicht vor – aber vielleicht treffen Sie ja die eine oder andere bei der Langen Nacht der Bilder in den Blo-Ateliers.


Inhaltsverzeichnis, Blick in’s Heft und Bestellmöglichkeit für die art:
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