Wie ein Insekt es schafft beeindruckend zu sein.

Auge in Auge mit einer Fliege. Was kommt uns dann in den Sinn? Ihhhh? Lästig? Bloß weg damit? So geht und ginge es wohl vielen von uns, oder nicht? Fliegen sind meist nicht so wohl gelitten. Sie werden bestenfalls ignoriert, meist aber wird dann doch nach ihrem Leben getrachtet. Immerhin gibt es einen ganzen Industriezweig, der sich dem verschrieben hat. Ich finde hier sollte sich etwas ändern!

Und womit beginnt Veränderung?

Mit Wahrnehmung, Bewusstmachung und Faszination. Darum soll es in diesem Artikel gehen. Betrachten wir Fliegen mal von einer anderen, einer spannenden und überraschenden Kultur- und Kunsterspektive. Seien Sie sicher, am Ende dieses Artikels werden Sie Fliegen mit anderen Augen sehen, so von oculi hominis (Menschliches Auge) zu oculus compositus (Facettenauge), versprochen.

Ein Imageproblem!?

Es ist schwer ein Tier zu finden, welches sowohl so permanent und konsequent unseren Lebensraum teilt und unsere Nähe sucht und dennoch eine so schlechte Lobby hat. Dies ist auch nicht nur heute so. Bei einem Streifzug durch unsere Kulturgeschichte wird schnell klar, dass die Fliege, von der es übrigens allein in Deutschland mehr als 3000 Arten gibt, in den allermeisten Fällen in einem negativen Kontext bzw. mit negativer Bedeutung auftaucht. Als Sinnbild für Sünde, Fäulnis oder schlechte Eigenschaften, wie es in der (christlichen) Kunst des Mittelalters und der Renaissance hier und da vorkommt. Wer sich für eine weitergehende und kurze Zusammenfassung von der Fliege und ihrem Vorkommen in der Kunst- und Kulturgeschichte interessiert, finden einen schnellen Durchflug in meinen Artikel: https://www.kunstplaza.de/kunstgeschichte/fliegen-jetzt-im-21-jh-ist-zeit-fuer-gerechtigkeit/.

Aber immerhin wird die Fliege ja schonmal kulturhistorisch wahrgenommen. Darauf lässt sich doch aufbauen und da wird es interessant. Denn, Fliegen scheinen Supermächte zu besitzen. Diese sind nur nicht jedem bekannt bzw. bewusst. Also folgt der zweite Schritt…

Superheldin unter dem Radar

Schauen wir also mal etwas genauer hin, stellen wir unsere Wahrnehmungsmuster auf „Positiv“ und werden uns zweier Superkräfteaspekte bewusst:

1.) Fliegen im Essen

Nein, es geht nicht um das vermeintliche Haar bzw. die Fliege in der Suppe, die es sich übrigens lohnt vorm Ertrinken zu retten, sondern darum, dass in vielen Lebensmitteln von uns im übertragenden Sinn „Fliege“ drinsteckt. Nämlich als Bestäubungsinsekt. Wird über Bestäubungsleistung gesprochen, fällt den meisten sofort die Biene ein. Klar, Bienen sind wichtige Bestäuber aber nicht die einzigen relevanten. Forschungen zeigen (Siehe z.B. Garibaldi L.A., Steffan-Dewenter i. et al (2013): Wild pollinators enhance fruit set of crops regardless of honey bees abundance. In: Science magazine Vol. 339, issue 6127, S. 1608-1611.), dass Schwebfliegen, das sind die, die so tun als seien sie gefährliche Wespen, im Schnitt einen ebenso großen Anteil an der Bestäubungsleistung erbringen, wie Wild- und Honigbienen.

Erstaunlich, nicht wahr? Die kleine unscheinbare Schwebfliege auf Augenhöhe mit den Bienen, Respekt! Und es sind nicht die einzigen. Goldfliegen (Lucilia sericata), sind nicht nur verlässliche Verwerter und Entsorger von Aas und Exkrementen. Sie sind wichtige Bestäuber von Doldengewächsen wie Petersilie, Kümmel und Fenchel. Für einen genaueren Blick auf die Fliege als Highperformerin im Bestäubungsbusiness verweise ich gerne auf meinen Artikel: https://naturgebloggt.de/schwebfliegen-die-unterschaetzten-highperformer/ .

2.) Fliegen auf dem Kopf

Die zweite Supermacht, die ich hier betonen möchte, ist die Fähigkeit der Fliege unser Denken und somit auch unsere Kultur mit zu beeinflussen und zu gestalten. Wie jetzt, werden Sie denken. Eine Fliege? Ja, eine Fliege. Unerbittlich, konsequent und aufdringlich war sie immer da, wo Menschen waren und sind. Es ist dabei auch vollkommen gleich, ob wir arm, reich, mächtig, klug, dumm, jung, alt, gesund, krank etc. sind, die Fliege macht keinen Unterschied. Sie schert sich nicht um unsere menschlichen Regeln, Konventionen, Sichtweisen oder Vorstellungen. Sie setzt sich jedem auf den Kopf, egal ob König:in oder Bettler:in und setzt so einen interessanten Prozess bei Betrachtenden in Gang.

Stellen Sie sich eine Autoritätsperson vor in einer respektablen Situation. Jetzt setzt sich eine Fliege dieser Person in das Gesicht bzw. auf den Kopf. Ab diesem Moment, und ggf. wie sich die Person dann verhält, verändert sich etwas. Die Fliege vermag es nur durch ihr Erscheinen zu relativieren, offen zu legen und menschliche Konzepte wie Schönheit, Einfluss, Macht etc. zu hinterfragen. Im Angesicht der Fliege sind wir alle gleich und einfacher Bestandteil einer zusammenhängenden Natur. Ich bin mir sicher Humboldt hätte diese Erkenntnis gefreut.

Ein Beispiel dazu. In einer Wahlkampfdebatte vor einigen Jahren, setzte sich dem damaligen Vizepräsidenten der USA, Mike Pence, eine Fliege auf das wohl gerichtete Haar. Es war eine junge Stubenfliege (Musca domestica). Schwarze Fliege auf weißem Haar, ein guter Kontrast. Ganz Medienprofi unsere kleine Fliege. Noch heute lässt sich online nachvollziehen, dass sowohl während der Debatte, als auch in der nachfolgenden Berichterstattung nicht mehr die politischen Inhalte Pence´ im Mittelpunkt standen, sondern eine kleine, junge Stubenfliege.

Ähnliche Erfahrungen von fliegenbringender Entlarvung und Relativierung haben u.a. auch der griechische Gott Myiagros und Barak Obama gemacht. Erstaunlich, oder? Damit gestaltet sie, unfreiwillig aber merklich, unsere Kultur mit und beeinflusst unsere Wahrnehmung und unser Denken. Was das für die Beziehung Fliege, Mensch und Kunst heute zu bedeuten hat, dazu kommen wir jetzt.

Und was hat das mit Kunst zu tun?

Holy Fly

“Holy Fly”, by Jan Olschewski

Halten wir fest, Fliegen haben relevante und spannende Funktionen und Eigenschaften. Und: Kunst und Kultur sind Spiegel, Spielfelder und Inspiratoren unseres menschlichen Handelns und Denkens. Also ist es nur logisch die Fliege auch künstlerisch in den Mittelpunkt zu stellen und dieses spannende Wesen in und durch Kunst darzustellen. Ein Imagewechsel in und durch die Kunst. Negative Darstellungsansätze gab es durch die Jahrhunderte genug.
Let´s change it.

Wie kann hier ein Ansatz aussehen? Wie kann der Fliege und damit auch ihren Eigenschaften auf dem Wege der Kunst mehr Wertschätzung entgegengebracht werden? Inspiriert durch den Kunsthistoriker Peter Geimer, der in seinem Buch „Fliegen, ein Portrait“ feststellt, dass Fliegen hier und da sogar den Weg in die christliche Heiligendarstellung gefunden haben, jedoch nie selbst einen Heiligenschein abbekommen hätten, entstand Ende 2022 die – wie ich zu behaupten wage – erste „Heilige Fliege“ der Kunstgeschichte. Eine Fliege mit Heiligenschein auf schwarzem Grund mit Öl und Blattgold. Dieses „Urbild“ war dann die Vorlage, um mit digitalen Techniken verschiedene Variationen anzufertigen (siehe Bilder). Dabei soll dies sinnbildlich für die biologische Vielfalt dieser spannenden Insektenart stehen und die Verwendung von Öl und Blattgold den Bogen in die kunsthistorische und ikonographische Kunstgeschichte schlagen. Damit ist die Fliege nun endlich auf kunsthistorischer Augenhöhe, hat endlich einen im Angesicht ihrer Leistungen angebrachten eigenen Heiligenschein bekommen und ihr ist damit die nötige und verdiente Aufmerksamkeit (hoffentlich) sicher.

Holy Fly shifting by Jan Olschewski

Holy Fly shifting by Jan Olschewski

Holy Fly Trinity by Jan Olschewski

Holy Fly Trinity by Jan Olschewski

Holy Fly fading by Jan Olschewski

Holy Fly fading by Jan Olschewski

Im Angesicht der voranschreitenden Bedrohungen für unsere Umwelt und die Tier- und Insektenwelt, ist dies mein/ein Weg diesen kleinen Mitlebewesen über die Kunst mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und das Bewusstsein zu stärken, dass ein Tier, welches sogar kulturell relevant für uns ist, nicht einfach so Opfer einer Fliegenklatsche werden darf bzw. kann bzw. sollte. Denken Sie nicht jetzt auch?

Mehr Fliege wagen!

Berlin, Juni 2023, Jan Olschewski
www.janolschewski.de